Solange du unter meinem Dach lebst, musst du dich an meine Regeln halten.
Wenn du dich nicht an das hältst, was ich sage, musst du die Konsequenzen tragen.
Das sind Sätze, die viele von uns in ihrer Kindheit und Jugend gehört haben.
Übrigens leben viele Familien noch immer nach dieser falschen und gefährlichen Vorstellung von Erziehung.
Auch wenn Psychologen und Pädagogen von allen Dächern schreien, dass diese Art des Lernens extrem schlecht für das Kind ist.
Aber Erziehung funktioniert auch ohne Schreien, Strafen und Prügel.
Wenn du im Ansatz der positiven Disziplin ein gutes Verhalten bei deinem Kind fördern möchtest, solltest du in deiner Erziehung auf verbale und körperliche Gewalt verzichten.
Wie funktioniert Erziehung ohne Strafe?
Positive Disziplin und Erziehung ohne Bestrafung – klingt das unrealistisch?
Stellen wir uns folgende Situation vor: Es ist Montagmorgen, es ist 6.15 Uhr.
Natürlich haben weder du noch dein Kind wirklich gut geschlafen.
Die Uhr tickt immer noch unerbittlich.
Du musst ins Büro gehen und in einer Stunde beginnt für dein Kind ein neuer Tag im Kindergarten.
Aber vorher umfasst der Checkliste für das Kind und dich ein gesundes Frühstück, das Erfrischen und Zähneputzen im Bad, das Anziehen und das Vorbereiten einer Frühstücksbox.
Bleiben wir für unser Beispiel beim Thema Zähneputzen.
Wenn es dir wie mir geht, müssen 48 Zähne geputzt werden (mein Kind hat 20 und ich habe keine Weisheitszähne mehr).
Während das Zähneputzen für uns Erwachsene wirklich kein großes Problem ist, löst der bloße Gedanke an Zahnpasta und einen faserigen Plastikgegenstand im Mund bei manchen Kindern Alarmstufe Rot aus.
Du spürst, wie dein Stresspegel steigt und wirst zunehmend ungeduldig.
Was wäre deine normale Reaktion in dieser Phase?
Wir sind alle Menschen.
Wir alle machen Fehler.
Und wahrscheinlich sind viele von uns in der Hektik des Morgens laut geworden.
Oder haben im Namen der Zahnpflege alle möglichen Läden abgeklappert, von Erdbeerzahnpasta bis hin zu Kinderzahnpasta mit Coca-Cola-Aroma (!).
Wenn es unter euch Zahnärzte gibt, tut so, als ob ihr diesen Satz nicht gelesen hättet!
Du hast Dutzende von Zahnbürsten gekauft, in Regenbogenfarben oder mit einer Zeichentrickfigur.
Hat das alles geholfen?
Nicht wirklich!
Zähneputzen ist immer noch der Stressfaktor Nummer eins am Morgen.
Vor allem an Wochentagen.
Schließlich stieß ich auf einen Artikel über Jane Nelsen.
Die Amerikanerin veröffentlichte 1981 ein Buch, in dem sie die Philosophien von Rudolf Dreikurs und Alfred Adler weiterentwickelte.
Dreikurs und Adler verfolgten das Ziel, eine lebensorientierte Psychologie zu etablieren, die in einer Erziehung zur Freiheit sichtbar wird.
Das bedeutet: Indem Eltern übertriebene Strenge und maßlose Verwüstung vermeiden, fördern sie nachhaltig den Gemeinschaftssinn, die Selbstständigkeit und die Verantwortung ihres Kindes.
Nach Adler und Dreikurs legen Eltern durch ihr Erziehungsverhalten die Grundlage für eine gesunde (oder gestörte) emotionale Entwicklung ihrer Kinder.
Die Ansicht von Dreikurs und Adler, dass das Fehlverhalten von Kindern nicht als böser Wille, sondern vielmehr als einfacher „Versprecher“ zu interpretieren ist, bildet die Grundlage für eine Erziehung, die positive Disziplin praktiziert.
Jane Nelsen erklärt die fünf Kriterien der Positiven Disziplin folgendermaßen:
- Positive Disziplin bedeutet, auf freundliche und zugleich lebensbejahende Weise zu kommunizieren.
- Es bedeutet, deinem Kind zu helfen, sich geliebt und mit dir verbunden zu fühlen.
- Es ist eine langfristig wirksame Strategie, die die Gefühle deines Kindes und seinen Platz in dieser Welt berücksichtigt – und Kindern hilft, zu erkennen, was gut für sie und die Gesellschaft ist.
- Positive Disziplin lehrt Kinder die Bedeutung von Einfühlungsvermögen, Zusammenarbeit und Respekt.
- Sie ermutigt Kinder, herauszufinden, was sie bereits wissen, und diese Fähigkeiten konstruktiv zu nutzen.
Wie lässt sich positive Disziplin im Alltag umsetzen?
Am besten lässt sich das an unserem Beispiel mit dem morgendlichen Zähneputzen verdeutlichen.
Wenn wir Jane Nelsen, Rudolf Dreikurs und Alfred Adler glauben, steckt hinter den meisten „Ungehorsamkeiten“ unseres Kindes keine böse Absicht.
Es ist unsere Aufgabe als Eltern, das zugrunde liegende Problem zu erkennen und von dort aus mit der Lösung zu beginnen.
Wir verstehen dann auch, warum Strafen in der Erziehung wenig hilfreich sind.
Wir haben festgestellt, dass das Zähneputzen und alle anderen täglichen Aktivitäten besser funktionieren, wenn wir (lies: ich!) nicht unter Druck stehen.
Nachteil: Der Elternteil, der das Kind morgens vorbereitet, und das Kind müssen unter der Woche früher aufstehen.
Vorteil: Der Elternteil reagiert gelassener und erspart sich den ängstlichen Blick auf die Uhr.
Ohne Eile, Druck und Stress ist es plötzlich egal, wie die Zahnpasta schmeckt und ob die Zahnbürste rosa oder grün-violette Streifen hat.
Das Problem ist nicht das Kind, sondern die Eltern!
Die hektische Mutter (seien wir ehrlich, oft ist es die Mutter, die die Kinder morgens vorbereitet), die ihr noch halb schlafendes Kind ins Badezimmer dirigiert und darauf wartet, dass einem schlafenden Murmeltier widerstandslos die Zähne geputzt werden.
In den Worten der Verfechter der positiven Disziplin: Es gibt keine schlechten Kinder, nur schlechtes Verhalten.
Und selbst das ist oft nicht die Schuld der Kinder.
Eine andere typische Situation aus dem Alltag mit Kindern zeigt ebenfalls die positive Disziplin als Erziehungsmethode.
Die fünfjährige Sabine hat ihre Freundin geschlagen, weil sie ihre Kekse nicht mit ihr teilen wollte.
Wie reagierte der Elternteil?
Das Kind zurechtweisen, seine Enttäuschung zeigen, schimpfen.
Stattdessen kann man auch versuchen, dem Kind in aller Ruhe zu erklären, dass seine Reaktion nicht richtig war.
Idealerweise räumst du deinem Kind in diesem Zusammenhang einen Ausweg ein.
Das bedeutet, dass du deinem Kind zeigst, wie es sein Unrecht wieder gutmachen kann.
„Ich glaube, Sarah ist im Moment ziemlich traurig. Möchtest du dich sofort bei ihr entschuldigen oder willst du dich mit mir hinsetzen, bis du bereit bist?“ ist eine Möglichkeit, deinem Kind die Wahl zu lassen.
Auf diese Weise hat dein Kind das Gefühl, die Kontrolle über die Situation zu haben, und du bietest keine Plattform für Herausforderungen oder Machtkämpfe.
Empathie und positive Disziplin
Einfühlungsvermögen zu zeigen ist in solchen Situationen aus einer Reihe von Gründen ebenfalls wichtig.
Erstens, weil wir als Eltern versuchen müssen, die tieferen Ursachen für das Verhalten unserer Kinder zu verstehen.
Je nach Temperament ist es normal, dass ein kleines Kind sehr frustriert ist, wenn sein Freund nicht teilen will.
Wir müssen Strategien anbieten, wie man mit diesen Gefühlen umgehen kann, ohne den anderen zu schaden.
Zweitens ist es von grundlegender Bedeutung, dass wir unseren Kindern beibringen, mit anderen zu sympathisieren: „Ich glaube, du hast Sarah sehr verletzt“.
Manchmal hilft es, das Kind an Situationen zu erinnern, in denen es selbst von einem Kind angegriffen wurde oder sich beim Spielen verletzt hat und wie es sich in diesem Moment gefühlt hat.
Indem wir die Aufmerksamkeit des Kindes von seinen eigenen verletzten Gefühlen auf das verlagern, was sein Verhalten dem anderen angetan hat, geben wir ihm ein wichtiges Werkzeug an die Hand.
Im Laufe der Zeit lernen unsere Kinder, sich auch ohne unsere Anwesenheit „richtig“ zu verhalten und bei ihrem Verhalten nicht nur ihr eigenes Wohlbefinden, sondern auch das Wohlbefinden ihrer Mitmenschen zu berücksichtigen.
Einige Tipps, wie man positive Disziplin in die Praxis umsetzen kann
Wenn du dich jetzt fragst, wie du die positive Disziplin in deinem Alltag umsetzen kannst, haben wir hier einige praktische Tipps für dich:
1. Kurze freundliche Erinnerungen statt Befehle
Anstatt zu sagen:
Räum deinen Teller ab!
Versuche es mit einem freundlicheren und ruhigeren Ton.
Du hast aufgegessen, räume bitte deinen Teller ab.
2. Positive Aufmerksamkeit und Ermutigung
Erkenne an, wenn dein Kind gute Leistungen erbracht hat, und zeige ihm, dass du sein vorbildliches Verhalten schätzt.
3. Das Kind nicht in die Ecke stellen
Wenn dein Kind sich schlecht benommen hat, setz dich hin und sprich mit ihm.
Wenn andere Kinder beteiligt sind, solltest du das Kind nicht in einen anderen Raum schicken, sondern vielleicht gemeinsam ein Buch anschauen, bis das Kind bereit ist, sich zu entschuldigen.
4. Kontrolle der Emotionen
Wenn du aufgeregt oder wütend bist, kann es leicht passieren, dass du dich verstimmst oder anders handelst, als wenn du einen klaren Kopf hast.
Aber auch die Kinder beobachten uns in solchen Momenten.
Denken wir über unsere Vorbildfunktion nach!
Schlussfolgerung
Warum ist positive Disziplin gut für das Familienleben?
Machen wir uns Folgendes bewusst: Unsere Kinder verhalten sich nicht absichtlich „falsch“.
Unsere Aufgabe ist es, nach den Gründen für das Verhalten unseres Kindes zu suchen.
Dann befinden wir uns bereits mitten im Prinzip der positiven Disziplin.
In einem nächsten Schritt können wir versuchen, einen Weg vorzuschlagen, wie unser Kind aus der Situation herauskommen kann, anstatt zu schimpfen oder zu schreien.
Indem wir das Kind demonstrativ „wählen“ lassen, was es als Nächstes tun soll, um seinen Fehler zu korrigieren, vermeiden wir Machtkämpfe und geben dem Kind gleichzeitig die Möglichkeit, sich für sein Verhalten verantwortlich zu fühlen.
Langfristig bilden wir nicht nur ein einfühlsames, verantwortungsbewusstes Verhalten und einen Gemeinschaftssinn bei unserem Kind (und uns selbst!) aus, sondern unsere Kinder verstehen auch, dass schlechtes Benehmen nicht das Ende der Welt ist.
Sie sollten aus ihren Fehlern lernen.
Nehmen wir das wörtlich und nutzen wir Fehler als Gelegenheit, unseren Kindern einen „Werkzeugkasten fürs Leben“ der Selbstbeherrschung, Unabhängigkeit und Verantwortung mitzugeben!