Gewalt in der Familie ist in der Regel ein großes Tabuthema, weil es den Betroffenen unangenehm ist, darüber zu sprechen.
Sie weigern sich oft, Hilfe zu suchen.
Noch beschämender erscheint es, wenn die Kinder gegenüber ihren Eltern gewalttätig werden.
Wichtiger als die Untersuchung der Ursachen ist die sofortige Beendigung der Gewalt und ein schneller Weg aus der Hilflosigkeit.
Zunächst einmal: Kinder sind nicht immer Engel und die Familie ist nicht nur ein Ort des ständigen Glücks!
Wir stellen uns Kinder oft als niedlich vor.
Das Zusammenleben mit ihnen ist mit Vorstellungen von Idylle, Sicherheit und Wärme verbunden.
Grundsätzlich haben Kinder aber die gleichen menschlichen Gefühle wie Erwachsene.
Sie empfinden also nicht nur Liebe, Freude oder Traurigkeit.
Sie empfinden auch Wut und Aggression.
Der Unterschied zu Erwachsenen besteht jedoch darin, dass sie, wenn sie davon sprechen, in einem emotionalen Zustand gehandelt zu haben, einen Ausnahmezustand meinen.
Kinder (vor allem jüngere) lassen sich jedoch von ihren Emotionen kontrollieren.
So dass ihr Handeln im Affekt eher „der Normalzustand“ ist.
Ist alles eine Frage der Beziehung?
Nehmen wir das Beispiel von Gästen auf einer Hochzeit.
Eine Frau unterhält sich mit einem anderen Gast, während sie ihre zweijährige Tochter im Arm hält.
Die Tochter wirkt etwas gelangweilt und spielt mit der Brille ihrer Mutter.
Du sollst nicht mit meiner Brille spielen! Wie oft muss ich das noch sagen?
Das Mädchen reißt sich die Brille vom Kopf und wirft sie auf den Boden.
Die Mutter schüttelt nur den Kopf, hebt die Brille auf und setzt das Gespräch fort.
Das Kind schlägt ihr leicht ins Gesicht.
Daraufhin sagt Mutter:
Man schlägt nicht!
Das Kind dreht sich um und schlägt ihr mit voller Wucht ins Gesicht.
Die Frau steht sprachlos und hilflos da.
Sie steht wie erstarrt.
Nehmen wir ein anderes Beispiel.
Einem Vater ist es peinlich, dass sein 15-jähriger Sohn seit Tagen vor dem Computer sitzt und Online-Rollenspiele spielt.
Er macht keine Hausaufgaben und beteiligt sich nicht am Familienleben.
Um Streitigkeiten zu vermeiden, hat sich der Vater lange Zeit nicht eingemischt.
Doch nun spielt der Sohn weiter und die Warnungen und Drohungen haben keine Wirkung.
Der Vater beschließt, den Stecker der WLAN-Steckdose zu ziehen.
Wütend stürmt der Sohn auf seinen Vater zu und schlägt ihn sofort.
Die beiden Beispiele sind unterschiedlich, haben aber eine Gemeinsamkeit: Kinder lernen vom Vorbild ihrer Eltern.
Sie lernen von ihren Eltern, wie man mit Gefühlen umgeht, wo die Grenzen des Gefühlsausdrucks liegen und wie das Zusammenleben erfolgreich sein kann, auch wenn jeder Mensch ganz unterschiedliche Bedürfnisse hat.
Daher ist gewalttätiges Verhalten von Kindern immer in erster Linie ein Beziehungsproblem.
Gewalt gegen Kinder ist in Familien weit verbreitet
Viele Eltern wenden Gewalt (sowohl verbale als auch körperliche) als Mittel zur Erziehung ihrer Kinder an und setzen damit eine Spirale in Gang, die dazu führen kann, dass Gewalt auch von Seiten der Kinder grundsätzlich legitimiert wird.
So konzentrieren Kinder die aggressive Aufmerksamkeit oft zunächst auf Gleichaltrige oder Geschwister, bevor sich die Gewalt schließlich auch gegen die Eltern richtet.
Doch was passiert in Familien, in denen die Eltern die besten Freunde ihrer Kinder sein wollen?
Häufig begleitet von einer großen Erziehungsunsicherheit, scheinen die Kinder es überhaupt nicht zu genießen, mit ihren Eltern „befreundet“ zu sein.
Sie verhalten sich aus Sicht der Eltern undankbar und unverschämt, und gleichzeitig fällt es den Eltern schwer, ein Konzept von (positiver) Autorität zu entwickeln.
Gewalt gegen die Eltern wird daher häufig damit in Verbindung gebracht, dass ein Kind einen Elternteil als besonders schwach, unsicher und grenzenlos oder als überwältigend, bedrohlich und vielleicht sogar selbst gewalttätig erlebt.
Natürlich kann auch die Loyalität gegenüber dem anderen Elternteil (z. B. bei getrennt lebenden Eltern) dahinterstecken.
Vor allem, wenn es massive Konflikte auf Elternebene gibt und ein Kind die Schuldzuweisungen des einen Elternteils gegenüber dem anderen akzeptiert.
Gegenseitige Gewalt in Familien
Gegenseitige Gewalt in Familien bedeutet, dass Eltern und ihre Kinder Gewalt als Mittel zur Erreichung ihrer Ziele einsetzen.
Dabei handelt es sich oft um einen allmählichen Prozess, der sich in der Regel aus gewalttätigen Konflikten entwickelt, bei denen der Ton des Gesprächs mit der Zeit immer härter und lauter wird.
Eltern, die das Gefühl haben, dass sie sich nur Gehör verschaffen können, wenn sie die Lautstärke erhöhen, treiben ihre Kinder durch ihr schlechtes Beispiel zum Schreien und Brüllen an.
Dadurch entsteht eine gegenseitige „brüllende Spirale“, die den Weg zur tatsächlichen Gewalt immer mehr verkürzt.
Fast alle Eltern wollen in Wirklichkeit gute, liebevolle Eltern sein.
Wenn es zu Gewalt kommt, dann meist aus einem Gefühl der absoluten Hilflosigkeit heraus.
Was kannst du tun?
Im Falle gegenseitiger Gewalt gilt Folgendes: Die Anwendung von Gewalt ist sofort einzustellen.
Kinder haben ein unveräußerliches Recht auf eine gewaltfreie Erziehung.
Außerdem kannst du das aggressive Verhalten deines Kindes nicht stoppen, wenn du selbst gewalttätig bist.
Wenn Kinder von ihren Eltern lernen, dass Schlagen ein legitimes Mittel ist, um ihre Interessen durchzusetzen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie selbst irgendwann gewalttätig werden.
Und selbst wenn du dein Kind mit Gewalt davon abhalten kannst, dich zu schlagen, kannst du die Gewaltfantasien und die Wut deines Kindes nicht aufhalten.
Einseitige Gewalt von Kindern gegen ihre Eltern
Es ist besonders tragisch, wenn Kinder einseitige Gewalt gegen einen Elternteil anwenden und ein Vater oder eine Mutter dies eigentlich auf eine besonders gute und liebevolle Weise hervorhebt.
Manchmal hängt das auch mit der eigenen schmerzhaften Erfahrung von Gewalt oder Angst in der Beziehung zu den eigenen Eltern zusammen.
Man will die Art und Weise, wie man selbst erzogen wurde, nicht wiederholen.
Das funktioniert jedoch oft nicht so, wie du es dir vorgestellt hast.
Wenn ein Kind seine Mutter oder seinen Vater schlägt, steht das oft am Ende einer langen Reihe von Erziehungsunsicherheiten und Auseinandersetzungen mit dem Kind.
Leider funktioniert die Vorstellung „Wenn ich immer nett zu meinem Kind bin, wird es auch immer nett zu mir sein“ nicht.
Was kannst du tun?
Unabhängig vom Alter der Kinder :
1. Hör sofort mit dem Schlagen auf oder fang gar nicht erst an!
Das erfordert wenig oder gar keine Worte, sondern Entschlossenheit im Handeln und ein klares Verhalten.
Bei kleineren Kindern ist es hilfreich, die Hände des Kindes so ruhig und vorsichtig wie möglich zu halten.
Das Kind muss an deiner ganzen Reaktion merken, dass es so nicht funktioniert und dass Schlagen eine Grenzüberschreitung ist, die du nicht tolerieren kannst.
Ein entschlossener und strenger Blick (Blickkontakt herstellen!) und ein klares „Nein“ reichen dafür oft schon aus.
Vor allem kleinere Kinder können ihr emotionales Verhalten noch nicht gut kontrollieren und reagieren sehr impulsiv.
Daher ist es hilfreich, die Gefühle des Kindes zu spiegeln (Beispiel: „Du bist wirklich wütend, nicht wahr?“).
Anschließend sollte man ihm gültige Lösungen anbieten, wie es seinen Frust loswerden kann.
Bei älteren und körperlich stärkeren Kindern hingegen ist es wichtig, die Situation sofort zu lösen.
Du kannst das Kind entweder in sein Zimmer schicken oder selbst den Raum verlassen.
Im Zustand höchster Emotionalität ist es ohnehin nicht möglich, die Situation zu klären.
2. Schütze dich selbst!
Wenn es eine massive Bedrohung gibt, z. B. ein Kind, das sich überhaupt nicht beruhigt und andere oder sich selbst in Gefahr bringt, kann es sein, dass ein Elternteil es nicht allein kontrollieren kann.
Dann muss man sich Hilfe holen, um die Situation zu klären.
Das kann von Hilfe aus der Familie (z. B. von deinem Partner) bis hin zu der Notwendigkeit reichen, die Polizei zu rufen, wenn es zu einer schweren und gefährlichen Eskalation kommt.
3. Kampf gegen die Scham und das Schweigen!
Gewalt von Kindern offenbart Hilflosigkeit und Unsicherheit in der Erziehung.
Viele Eltern trauen sich nicht, mit anderen darüber zu sprechen oder Hilfe zu suchen.
Dies verstärkt jedoch einen Teufelskreis aus wachsender Unsicherheit, Hilflosigkeit und meist widersprüchlichem Verhalten (z. B. um weitere unangenehme Situationen zu vermeiden).
Viele Eltern leiden still unter der Situation oder stauen massive Schuldgefühle auf.
So verständlich es auch klingen mag: Die Schuldfrage hilft Eltern letztlich kaum weiter.
Die Not wird nicht geringer, wenn sie sich mit dem auseinandersetzen, was sie angeblich falsch gemacht haben.
Viel wichtiger ist es, dass die Eltern die Verantwortung für eine positive Veränderung übernehmen!
Schlussfolgerung
Es geht nicht darum, zu einem überholten Verständnis von Autorität (in Form von Einschüchterung und Machtmissbrauch) zurückzukehren, sondern vielmehr darum, sich seiner eigenen Grenzen bewusst zu werden und sie zu respektieren, so wie du die Grenzen deines Kindes respektieren musst.
Kinder werden nicht mit einem perfekt definierten Verständnis für die Grenzen anderer geboren.
Dies ist eine ständige Lernaufgabe auf dem Weg zum Erwachsenwerden.
Und die wichtigsten Lehrer sind die Eltern.